Austin Wright: Tony & Susan

(Diese Rezension erschien zuerst am 2. Juni 2012 im CrimeMag)

Wir sind, was wir sind. Nicht, was wir nicht sind.

Zwei Bücher in einem – Austin Wright hat ein Buch geschrieben über einen Autor, der ein Buch geschrieben hat. Und es seiner Exfrau zur Kenntnis schickt. Diese beiden Bücher sind von Wright brillant ineinander verschraubt und nicht nur mitreißender suspense, sondern auch eine wirklich verstörende Geschichte. Ruth Rendell sagte über „Tony & Susan“, dass sie diesen Roman nie vergessen werde. Christiane Geldmacher auch nicht.

Man liest so was ja dauernd in der Zeitung. Oder sieht es in Fernsehsendungen wie „Brisant“. Eine kleine Familie, nur drei Leute, macht sich auf den Weg in die Ferien. Sie beschließen, die Nacht durchzufahren, sind ausgelassen und freuen sich. Dass der Vater einen Tramper am Straßenrand stehen lässt, führt kurzfristig zu Diskussionen. Dann passiert Furchtbares. Ein Albtraum, den man so dezidiert, so glaubhaft selten gelesen hat: Drei Männer nehmen von ihrem Auto aus eine Familie aufs Korn. Sie bedrängen den Wagen, fahren zu dicht auf. Lassen ihn nicht überholen, bremsen ihn aus. Wer einmal den Film „Duell“ von Steven Spielberg gesehen hat, weiß, wovon die Rede ist. Horror pur – ein Horror, der nur übel ausgehen kann.

Die Familie versucht, die drei Männer – Ray, Lou und Turk – loszuwerden. Doch der Vater bleibt zu defensiv, die Mutter zu diplomatisch, die Tochter zu rebellisch. Mit diesen Typen ist offensichtlich nicht zu spaßen. Der Vater wird von Mutter und Tochter getrennt, die beiden werden verschleppt und umgebracht. Das Letzte, was der Vater von Frau und Tochter sieht, sind ihre verängstigten Gesichter auf dem Rücksitz des fremden Wagens.

Auch der Vater wird verschleppt und in der Wildnis aus dem Wagen geworfen. Nach einer langen, konfusen Wanderung durch unbekanntes Niemandsland findet er Unterschlupf in einem Farmhaus und verständigt von dort aus die Polizei. Was man eben so die Polizei nennt. Später wird er noch ein Haufen Probleme mit einem von ihnen bekommen. Die Leichen seiner Frau und seiner Tochter werden noch am gleichen Tag gefunden

Buch im Buch

Wie er damit fertig wird und mit seinen Schuldgefühlen, weil er glaubt, Frau und Tochter nicht mutig genug geholfen zu haben, davon handelt der Roman von Edward Sheffield. Seine Exfrau  Susan Morrow liest und kommentiert ihn, kapitelweise, mit kritischem Blick. Tatsächlich ist sie überrascht, dass es so gut ist. Das Buch ist spannend, voller interessanter Gedankengänge, unerwarteter Wendungen. Früher war Edward eher der Lyrikfraktion zuzurechnen. Doch wie will er jetzt den Spannungsabfall vermeiden? Ist diese Stelle nicht unglaubwürdig? Jene nicht zu voyeuristisch? Und das da: nur ein billiger Effekt? Sie blättert im Buch vor und zurück und bereitet uns darauf vor, was noch kommen wird. Und sie hinterfragt den Plot: „Randnotiz für Edward: Du weißt, wie man Zeit schindet.“ Es ist ein Diskurs über eine Leserin, die einen Diskurs über einen Autor führt, der die Geschichte eines Mordes und seiner Folgen erzählt hat.

Zwei gescheiterte Ehen

Susan lernte Edward schon als Kind kennen. Ihre Eltern nahmen ihn bei sich auf, als sein Vater starb. Zu Anfang mochten sich die beiden Teenager nicht, erst später, während des Studiums, lernten sie einander kennen und lieben. Die Eltern fanden es ein perfect match. Doch die Ehe verlief anders, als Susan es sich erhoffte. Edward lässt sich für sein Schreiben von Susan aushalten. Was kein Problem wäre, wenn er es beherrschte. Aber alles, was er schreibt, taugt nichts. Schwammige Schilderungen, Bekenntnisgedichte, nostalgische Skizzen, Susan hasst das Zeug. Sie wird passiv aggressiv.

Dankbar folgt sie dem Werben eines erfolgreichen Arztes Arnold. Doch Susan gerät vom Regen in die Traufe. Hat es sie bisher aufgeregt, dass sie Edward durchgefüttert hat, so regt es sie jetzt auf, dass sie Arnolds drei Kinder großzieht. Und dass der eine Geliebte hat. Nein – Susan hat es nicht leicht im Leben, ihre Beziehungen verlaufen nach dem Muster trial and error. Eher error. Zurückdenkend betrachtet sie ihre beiden Ehen als gescheitert, beide Männer hatten nie ein echtes Interesse an ihr.

Haben wir, die Leser, deswegen Mitleid mit ihr? Nicht wirklich. Es gibt keinen äußeren Zwang, der sie dieses Leben führen lässt (eine ähnliche Thematik findet sich auch in Louise Aldrichs „Schattenfangen“). Susan wiederholt die Fehler ihrer Beziehung mit Edward in der Beziehung mit Arnold. Sie lebt nur für ihren Mann. Im Grunde sitzen wir mit lauter unsympathischen Leuten da. Mit Susan, Edward, Arnold – und Tony. Tony ist der aus dem Roman, der seine Familie verloren hat. Bei dem der lokale Fernsehsender nach Bekanntwerden der grausamen Tat vorbeikommt. Ist Tony für die Todesstrafe – nach dem, was mit seiner Familie passiert ist? Wright macht die Obszönität dieser Fragen sichtbar. So, wie er es macht, schüttelt es einen.

Austin Wright erweist sich als ein boshafter Chronist dessen, was wir täglich ertragen. So sieht Wright die Welt. So sieht er die Menschen. Selbstverliebt, egoistisch, ängstlich, feige. Verschiedene Arten von Feigheit: Feigheit in einer Situation äußerster Bedrohung (Tony) und Feigheit in einer Situation ohne Bedrohung (Susan). Die Menschen in diesem Buch sind kleinkariert, pedantisch, besserwisserisch, ausbeuterisch, steif. Sie haben nervöse Ticks, machen Mündchen, schleppen furchtbare Mitbringsel aus dem Urlaub an. Und man spürt Wrights Verzweiflung, dass es diese Menschen gibt. Man empfindet sie selbst.

Bleibt die Frage, wie ein Verlag wie Luchterhand dazu kommt, dieses Buch neu aufzulegen. Sein Verfasser ist nicht sehr bekannt, es gibt keinen deutschen Wikipedia-Eintrag, der amerikanische lässt zu wünschen übrig (Austin Wright/1922 in New York geboren/Schriftsteller/Literaturwissenschaftler/starb 2003 im Alter von achtzig Jahren).

Die Antwort: Es ist ein gutes Buch. Mehr noch: Das Buch ist ergreifend. Es zeigt Horror nicht nur, es löst ihn aus. Man kann sich schlicht nicht mit der Dummheit abfinden, daran scheitert Susan zunächst. Doch dann zeichnet sich eine Wende ab: „Und so probiert sie im Stillen ein neues Wort aus, das Wort Hass. Es zu benutzen, wagt sie nicht, aus Scheu vor dem wilden Revoluzzerleben, zu dem es sie verdammen könnte. Wäre sie dafür stark genug?“

Einziges Problem: Das Cover

Einzig das Cover in seiner Beliebigkeit und Austauschbarkeit ist ein Ärgernis, eine klischeehafte 0/8/15-Anbiederung an das Thema „Crime“. Was soll das sein – Bäume an einem Fluss? Wie heißen eigentlich die Foto-CDs, bei denen man sich da bedienen kann? Mir fallen auf Anhieb fünf   Motive ein, die besser zu dem Buch passen würden: eine Autobahn, drei miese Typen, ein Schild ins Nichts, eine verwaiste Tankstelle oder meinetwegen irgendeine Lösung mit “Buch-imBuch”. Man fragt sich immer wieder, wie so etwas passieren kann. Und warum das so sein muss.

Christiane Geldmacher

Austin Wright: Tony & Susan (Tony and Susan, 1998). Roman. Deutsch von Sabine Roth. 416 Seiten. Luchterhand Literaturverlag. 19,99 Euro. Verlagsseite mit Leseprobe.

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