Power up! Female Pop Art

(Diese Rezension erschien zuerst am 25. November 2011 im CulturMag)

Guerillakämpferinnen und Terroristinnen der Kunst

– Pop Art wird gewöhnlich mit Stilikonen wie Andy Warhol, Roy Lichtenstein oder Robert Rauschenberg assoziiert. Männlichen Künstlern. Pop-Art-Ausstellungen zeigen jedoch selten die Werke etwa von Evelyne Axell, Sister Corita oder Dorothy Iannone.

Anfang des Jahres wurden Pop-Art-Künstlerinnen eigens in einer Ausstellung in der Kunsthalle Wien gezeigt, deren Katalog nun im DuMont Buchverlag erschienen ist. Ein Must-have, denn wie sagte schon Dorothy Iannone? „The next great Moment in History is ours.“ Dieser Moment – er dauert immer noch an. Von Christiane Geldmacher

 

 

 

 

Guerillakämpferin mit Pinsel

Sister Corita (1918–1986) hatte ein ungewöhnliches Leben. Geboren 1918 in Fort Dodge, Iowa, zog ihre Familie nach L. A. Corita trat dem Orden „Immaculate Heart of Mary“ bei und legte einen Masters Degree in Kunstgeschichte ab. In ihrer Arbeit konzentrierte sie sich auf Grafik und Typografie. Sie bearbeitete Texte von Gertrude Stein und Albert Camus, ihre Kunstklassen galten als Events. Als Gastredner lud sie Charles und Ray Eames, John Cage und Alfred Hitchcock ein. Die Erzdiözese stufte ihre Arbeit als „gefährlich“ ein; der Kardinal beschuldigte sie, eine Guerillakämpferin mit Pinsel zu sein. 1969 verließ Sister Corita den Orden, ging nach Boston und verschrieb sich kompromisslos ihrer Kunst.

 

Menschliche Körper in ihre Einzelteile

Puppen, Roboter, Autos, Raketen, Bomben, Puppen, Kinderspielzeug, Haushaltsgeräte, Close-Ups von Vaginen, Schwänzen, koitierenden Paaren, menschliche Körper in ihre Einzelteile zerlegt: Wir betrachten die Arbeiten von Dorothy Iannone (*1933), deren zentrales Thema – noch immer – die sexuelle Befreiung der Frau als heilende Kraft des Universums ist. Iannone, eine gebürtige US-Amerikanerin, die später den Schweizer Künstler Dieter Roth heiratete und nach Berlin zog, ist beeinflusst von vielen Reisen nach Indien, Kambodscha, Japan. Sie malte große Körper, riesige Sexualorgane, tantrische Götter, indische Tempelmalerei, japanische Kalligrafie, ägyptische Reliefs, psychedelische Poster. Internationales Aufsehen errang sie, als sie in den USA gegen die Indizierung der Werke von Henry Miller vor Gericht zog und gewann. Eine Weile schloss sie sich der Fluxusbewegung an. Berühmt wurde sie für den Satz: „I am she who is not Fluxus.“

Weibliches Popuniversum

Die Belgierin Evelyne Axell (1935–1972) startete ihre Karriere als Schauspielerin, wechselte aber bald zur Bildenden Kunst. Sie schuf ein weibliches Popuniversum; ihre Themen waren Revolution, Frauenemanzipation, weibliche Freiheitskämpfer. Axells selbstbewusste Heldinnen posieren in provokativer und erotischer Pose in leuchtenden Farben. Ihr Lieblingsmaterial war Plexiglas, aus dem sie mit einer Elektrosäge die Formen ausschnitt und sie mit heller leuchtender Emaille bemalte. 1969 wandte sie sich Performances zu. Mit der Frau eines Sammlers legte sie einen „umgekehrten Striptease“ hin: Sie kleidete die Nackte genussvoll und langsam an. Sie trug dabei einen Astronautenhelm als eine Hommage an die erste weibliche Kosmonautin im All, die Russin Valentina Tereshkova.

Terroristin der Kunst

Die bekannteste Künstlerin des Bandes ist Niki de Saint Phalle (1930–2002), geboren in Paris, aufgewachsen in den USA, eingebürgert in die Schweiz durch ihre Heirat mit Jean Tinguely. 1956 schuf sie ihre „Schießbilder“: Gipsbilder mit eingearbeiteten Farbbeuteln, auf die sie während ihrer Vernissagen feuerte. Ab 1964 entstanden ihre berühmten aus Polyester gefertigten Nanafiguren, die sie mit bunten Farben bemalte. „Hon“ (Schwedisch für „Frau“) ist eine 29 Meter lange Skulptur, die durch die Vagina betreten wurde und in deren Inneren sich eine Bar und ein Kino befanden. 2002 starb Niki de Saint Phalle an den Spätfolgen der giftigen Dämpfe, die bei der Herstellung ihrer Figuren entstanden waren. Sie präsentierte sich als Terroristin der Kunst. Martin Walkner vergleicht sie in seinem Essay mit Emma Peel von den „Avengers“ oder Roger Vadims „Barbarella“. 1962 entstand King Kong, eine Serie von fünf Wooden Panels, die sich in ihrer Formensprache an den Comic anlehnen.

Andere Künstlerinnen, die in dem Band vorgestellt werden, sind Christa Dichgans (*1940), Rosalyn Drexler (*1926), Jann Haworth (*1942), Kiki Kogelnik (1935–1997) und Marisol (*1930). Der Katalog versammelt die Exponate der Ausstellung, eine kluge Einführung des Direktors der Kunsthalle Wien Gerald Matt und interessante Essays zu den einzelnen Künstlerinnen von Belinda Grace Gardner, Anke Kempkes, Thomas Mießgang, Kalliopi Minioudaki, Mark Rappolt, Aaron Rose, Sid Dachs, Angela Stief und Martin Walkner. Außerdem gibt es viele aufschlussreiche O-Töne:

„I wanted the world, and the world belonged to MEN. I wanted the outside to belong to me. I learned at a very early age that. MEN HAD POWER AND THAT IS WHAT I WANTED.” Very sixties? We don´t think so!

Von Francis Bacon ist bekannt, dass er Reproduktionen anderer Künstler aus Büchern riss, wenn sie ihm gefielen. Die Rezensentin gesteht, dass sie es Bacon nachgemacht hat. An ihren Wänden befinden sich jetzt Reproduktionen von Sister Corita, Evelyne Axell und Niki de Saint Phalle.

POWER UP!

Christiane Geldmacher

Angela Stief, Gerald Matt, Kunsthalle Wien (Hg.): Power Up. Female Pop Art. Köln: DuMont Buchverlag 2011. Katalog mit ca. 200 farbigen Abbildungen. 288 Seiten. 29,99 Euro. Eine Leseprobe (PDF) mit weiteren Abbildungen finden Sie hier.

Bildnachweise:

Ausstellungsansicht/exhibition view Kunsthalle Wien “POWER UP. Female Pop Art”, 2010 © Kunsthalle Wien, Foto/photo: Stephan Wyckoff

Sister Corita, Come Alive, 1967, Courtesy Kalfayan Galleries, Athens-Thessaloniki, Abdruck mit Genehmigung des/reprinted with permission from the Corita Art Center, Immaculate Heart Community, Los Angeles

Dorothy Iannone, aus/from: The Story of Bern (or) Showing Colors, 1970, Courtesy Dorothy Iannone, Berlin © Dorothy Iannone

Evelyne Axell, Ice Cream, 1964, Courtesy Serge Goisse, Belgium © Estate of Evelyne Axell und/and VBK, Wien, 2010, Foto/photo: Paul Louis

Niki de Saint Phalle aiming; Film-Still aus Daddy, 1972 © 2010 NIKI CHARITABLE ART FOUNDATION, All rights reserved und/and VBK, Wien, 2010

Ausstellungsansicht/exhibition view Kunsthalle Wien “POWER UP. Female Pop Art”, 2010 © Kunsthalle Wien, Foto/photo: Stephan Wyckoff

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