Na dann Gute Nacht!

Ort: In den Bergen, ein einsamer Parkplatz
Zeit: Der erste Herbststurm fegt durch
Personen: Christiane, Christianes Navi, eine Hotelangestellte

Christianes Navi (verkündet): Du bist an deinem Ziel angekommen!
Christiane (stellt den Wagen auf dem Parkplatz eines Schlosses ab) (irritiert): Wie? Was? Wo?
Der Navi (wiederholt): An deinem Ziel!
Christiane (hadert mit der Technik): Also diese Navis! Manchmal vertun sie sich aber auch derart was von kilometerweise …! (fummelt an den Einstellungen, gibt das Ziel erneut ein)
Der Navi (flötet): Brauch ich nicht nochmal berechnen, du bist am Ziel!
Christiane (schlägt auf das Lenkrad): Wirklich nicht …! (steigt aus): Das kann nicht sein! Das ist ein Schloss! (betrachtet die großzügige Anlage) (nirgendwo Licht) (kein Mensch) (Parkplatz leer) (dreht sich um sich selbst) Hier ist niemand! (steigt wieder ein, überprüft wieder den Navi)
Der Navi (variiert): Du bist nach null Metern an deinem Ziel angekommen! (feixt)
Christiane (stöhnt): Sehr witzig, ich lach mich tot … (holt nicht ihren Koffer aus dem Auto, sondern überquert sich in alle Richtungen umschauend den Parkplatz und betritt vorsichtig, „Hallihallo?“-rufend den Eingang des Schlosses)

Eingang des Schlosses: Links ist eine Sitzgruppe mit Broschüren und dem SPIEGEL (Titelbild: Bordell Deutschland), rechts eine Rezeption mit Computer, Zimmerschlüsseln, Bürobereich. Kein Mensch, keine Klingel.

Christiane (setzt sich, wartet, blättert in Broschüren, liest im SPIEGEL, schleicht hinter die Rezeption, sucht Unterlagen, findet keine, setzt sich, blättert im SPIEGEL, steht auf, irrt durchs Schloss und viele Etagen und Winkel): „Hallihallo? Jemand da?“ (findet eine Kapelle, einen Billardsaal, einen Konferenzsaal und ein vollausgestattetes Restaurant)
Plötzlich eine weibliche Stimme von unten (Kilometer entfernt): Állo?
Christiane (fährt herum) (horcht nach unten) (eilt Treppenfluchten hinunter) Hallihallo! (hetzt durch Gänge) (stürzt um Ecken) Hallihallo!

Unten im Eingangsbereich. Eine sympathisch aussehende Frau ist eingetroffen und steht freundlich hinter der Rezeption herum.

Die Rezeptionistin: Ah, bonjour, Madame Geldmacher! (kann fließend Deutsch) Haben Sie sich das Schloss schon angesehen? Sind Sie gut angekommen?“
Christiane (erleichtert): Jajaja! … ich bin … sehr … überrascht!
Die Rezeptionistin (aufmerksam): Positiv oder negativ?
Christiane (hastig): Positiv!
Die Rezeptionistin: Ah, gut! Wir haben gerade eine Fortbildung gemacht, die positiven und negativen Aspekte des Schlosses betreffend …
Christiane (hebt die positiven hervor): So ein schönes Schloss! Also ich hatte ja … (setzt zu einer Erklärung an) … bei Booking.com ein Einzelzimmer gemietet, also im Internet, weil ich eine ruhigen Ecke zum Schreiben suche … muss da vorwärts kommen …
Die Rezeptionistin (hört nur halb zu, geht die Anmeldung durch): Soso … aha … jaja … soso … alles klar … ruhig ist es hier … Sie haben das ganze Schloss für sich …
Christiane (hört auch nur halb zu, erklärt weiter): … und dann gabs keine Klingel … und dann war ich in der Kapelle … im Restaurant … alles frei zugänglich …
Die Rezeptionistin (lacht, wühlt in ihrer Tasche, zieht eine Glocke hervor): Da ist die Klingel! (stellt sie auf den Tresen): Die habe ich immer mit, wenn ich nicht gestört werden will! (lacht)
Christiane (stellt fest, dass die Leute interessante Formen der Nicht-Erreichbarkeit entwickeln)
Die Rezeptionistin (lacht): Da können Sie jetzt klingeln, so viel Sie wollen. Das heißt, bis um … (blickt auf die Uhr) … halb neun. Danach hats keinen Sinn mehr. Danach sind wir nicht mehr da.
Christiane: Wie, Sie sind nicht mehr da? Ich bin allein? Im Schloss?
Die Rezeptionistin: Lustig, ne? (trägt Christianes Daten in ein Formular ein)
Christiane (hakt nach): Ich bin der einzige Gast?
Die Rezeptionistin (nickt): Das ist diese Jahreszeit! (vertröstet) Am Wochenende haben wir Gäste.
Christiane: Dann muss ich schon wieder heim. Samstag Mittag fahr ich ab.
Die Rezeptionistin: Zu Hause ist es auch schön. Wann wollen Sie denn frühstücken, Madame Geldmacher?
Christiane (winkt ab): Ach wissen Sie was? Ich brauche kein Frühstück. So ganz allein macht es ja auch keinen Spaß! Nur für einen Gast Frühstück machen … viel zu viel Aufwand …
Die Rezeptionistin (resolut): Sie haben ein Zimmer mit Frühstück gebucht, also gibt’s Frühstück. Wann also? Um acht?
Christiane (große Augen): Um ACHT?
Die Rezeptionistin (sieht, dass Christiane nicht glücklich ist) (kommt ihr entgegen): Besser um sieben?
Christiane (hastig): Acht ist super! (hofft, dass sie rechtzeitig wach ist) (hat keinen Wecker dabei)
Die Rezeptionistin (notiert 8.00 Uhr) (gibt eine Zusammenfassung der Facilities des Schlosses: Kapelle, Billardsaal, Turm, Frühstücksraum)
Christiane (vorsichtig): … W-LAN …
Die Rezeptionistin (schüttelt den Kopf): … Internet … haben wir keins … (weite Geste über die Berge) … hier ist schlechter Empfang!
Christiane (winkt ab) (lacht): Brauch ich ja auch nicht! Ich will ja schreiben! Mich aufs Wesentliche konzentrieren! Da tut mir Abgeschiedenheit nur gut! (hätte gerne Ablenkung) Um sieben nur schnell die Nachrichten geschaut, damit man den Kontakt zur Realität nicht ganz verliert …
Die Rezeptionistin (bedauert): Wir haben leider keine Fernseher auf den Zimmern … Das gehört nicht zum Konzept unseres Hauses.
Christiane (schlägt mit der Hand flach auf den Tresen): Und ich nenne das ein GUTES Konzept! Wozu auch? Fernsehen … so oberflächlich … Ich hab meine Serien-DVDs dabei, die guck ich auf dem Laptop! (lacht perlend) Die Nacht krieg ich schon rum!
Die Rezeptionistin (lächelt freundlich): Genau! Immer positiv!
Christiane (lacht): Gott sei Dank hab ich nicht „The Shining! von Stanley Kubrick dabei! Das wäre ein bisschen zu authentisch.
Die Rezeptionistin (versteht nicht)
Christiane: Zu viel des Guten!
Die Rezeptionistin (versteht nur „gut“): Genau! Immer positiv!
Christiane (erzählt): Wussten Sie, dass es bei Suizidgefahr gut ist, erstmal in Ruhe einen Kaffee zu trinken? Sagt der Philadelphia Inquirer. Eine interessante Untersuchung!
Die Rezeptionistin (lächelt freundlich): Sie bekommen Kaffee zum Frühstück.
Christiane (nickt): Prima, dann bin ich morgen Früh nicht mehr suizidgefährdet. (hofft, dass sie ihre Baldriantropfen dabei hat, um die Nacht im Schloss durchzustehen) (könnte eine Whiskyflasche vertragen) (scherzt): Eine Minibar gibt’s nicht?
Die Rezeptionistin (gibt ihr den Schlüssel für ihr Zimmer im 1. Stock): Kein Alkohol im Schloss und keine Zigaretten! Unsere Alarmanlage ist sehr sensibel. Sie würden das ganze Dorf aufwecken, wenn Sie hier eine rauchen.
Christiane (hat kein Dorf gesehen): Ja, um Himmels Willen … da werde ich ganz leise sein! Ich will hier ja niemandem stören! Nur keine schlafenden Hunde wecken …
Die Rezeptionistin: Also dann bis morgen! Ich komme und mache Ihnen Frühstück. Und dann gute Nacht!
(…)


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6 Responses to Na dann Gute Nacht!

  1. christiane says:

    Nie! Hab ich auch nicht, ich hab „Hallo“ gerufen. Erst stand auch „Hallohallohallo?“ da, aber das klang GELESEN zu FORDERND. Betrachte es als Figurenrede …

  2. Georg says:

    Und was ist dann am nächsten Morgen passiert? Die Schreibmaschine konnte nur den einen Satz schreiben?Eingeschneit? „Honey, I’m home!“????

    * wartet auf die Fortsetzung

  3. christiane says:

    Am nächsten Morgen saß ich allein beim Frühstück in einem großen Saal. Am übernächsten Morgen saß ich in dieser Kirchengruppe.
    Kann übrigens gut sein, dass du das Schloss kennst.;-)

  4. Georg says:

    Wo ist es denn, wie heißt es denn?

    * neugierig
    ** kennt keine Schlösser, außer dem Fahrradschloss

  5. Anobella says:

    Christiane sagt, ich soll keine Tipps geben (die kocht) … *flüstert … also das Schloss ist in Frankreich und man spricht Deutsch. Das steht aber auch schon so im Text. **verrät nichts!

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