Colin Cotterill: Dr. Siri sieht Gespenster

(Diese Rezension erschien zuerst am 23. November 2009 im CrimeMag)

Von Geistern und Schamanen

Die Krankenpflegerin Dtui, Assistentin des laotischen Pathologen Dr. Siri Paiboun, sitzt in einem dunklen, eiskalten Raum. Sie ist zerschunden, zerkratzt, zerbissen. Wie ein Sack Bohnen wurde sie von einer Bestie über unwegsamen Boden geschleift. Mehrere Frauen sind in letzter Zeit auf barbarische Weise in Vientiane umgekommen. Und Dtui soll die nächste sein, wenn der Vollmond hoch am Himmel steht. Dr. Siri fürchtet um ihr Leben. Von Christiane Geldmacher.

Man muss sie mögen – diese Geistergeschichten Colin Cotterills. Denn er meint es ernst damit. Die Laoten glauben an Geister, sagt er. Und zwar nicht an die niedlichen Geister englischen Typs, die hinter der Tür auflauern und „Huuuuuh!“ rufen, oder an die indianischen Geister Tony Hillermans, die respektvolle Distanz wahren. Meistens jedenfalls. Nein, die Geister Cotterills sind den moralischen Zeigefinger hebende und übergriffige Geister. Sie sitzen am Bett, im Tisch, in der Ecke. Sie klagen die Lebenden an. Und Dr. Siri glaubt auch an sie. Wenn auch mit gebotenem Skeptizismus. „Ach du Scheiße“, entfährt es ihm, als er erfährt, dass er selbst die Reinkarnation eines legendären Schamanen sein soll.

Monster treiben ihr Unwesen

In Cotterills zweitem Krimi Dr. Siri sieht Gespenster treibt ein Serienmörder sein Unwesen. Eine Durchfallkranke, eine Frauenfunktionärin, eine Schmugglerin finden ein furchtbares Ende. Und nicht nur sie. Schließlich reißt sich noch ein Mann den Kopf ab. Diese Morde sind so barbarisch, dass man nur rohe tierische Gewalt dahinter vermuten kann. Das bietet sich sowieso an, weil ein Bär aus einem Käfig eines Nobelhotels ausgebrochen ist und die Stadt unsicher macht. Die Assoziation zu E.A. Poes Orang-Utan im „Doppelmord in der Rue Morgue“ liegt nahe. Aber wir erinnern uns: Der erschien reichlich überkonstruiert. Und ganz ähnlich ist es auch bei Cotterill. Ein gedemütigter Bär soll zurückdemütigen? Und vornehmlich nur Frauen? Na, na!

Guter Erzähler, gute Figuren, wirrer Plot

Seine Story, keine Frage, kann Cotterill anschaulich und bunt und fröhlich erzählen. Kommunismus kann er, Mangelwirtschaft kann er, geschrottelten Alltag kann er, Unfähigkeit lokaler Parteikader kann er, und den Bürger im Nahkampf mit den steinzeitkommunistischen Behörden kann er auch.

Und vor allem kann er liebevoll charakterisiertes Personal. Da ist der lustige Dr. Siri, die Krankenpflegerin Dtui, Inspektor Phosy, Richter Haeng und der Kommunist Civilai. Zum Personal bei Dr. Siri sieht Gespenster gehören außerdem: Puppenspieler, Zauberer, magische Holzpuppen. An dieser Stelle könnte es dem Krimileser glatt zu viel werden – aber da setzt Cotterill noch in der Gestalt des Wertigers einen drauf. Ein Wertiger ist der Geist eines Tigers, der in einen Menschen einfährt. Okay. Das Monster ist also gar kein Bär, es ist ein Tiger! Die Opfer wiesen ja auch Biss- und Kratzspuren auf. Das passt also ganz gut. Der Leser ist o­n high alert.

Leider erweisen sich im Verlauf der Handlung viele Abschnitte als überflüssig oder der Story nicht besonders dienlich. Und viele der Vergleiche gehen daneben. Da klappern die Schritte der Beamten wie die Perlen in der ehemals prall gefüllten Schmuckschatulle einer an den Bettelstab geratenen Frau; da trägt eine Frau so viel Liebe in sich wie eine Klabusterbeere am Hintern einer Ziege; da hat ein Russe einen Kopf wie rohe Nudeln; und ein Löwe ist so mager, dass man auf seinen Rippen Xylophon spielen könnte. Es ist wirklich außerordentlich schwierig, da ein Bild reinzukriegen.

Dennoch: wunderbar, wenn Dr. Siri vor Gericht erscheinen muss, weil er in einem Wutanfall einen Radiolautsprecher zerhackt hat, der Parteiverlautbarungen in sein Viertel schmettert. Und wenn diese Anhörung dann in der Kantine des Justizministeriums stattfindet, weil dort alle Anhörungen stattfinden. Oder wenn Dr. Siri – hochwichtig! – die Reinkarnation Yeh Mings sein soll, eines über tausend Jahre alten, legendären Schamanen, der, wie sich herausstellt, jedoch nur von einem kleinen Dorf irgendwo auf dem Land verehrt wird.

Und, wie löst Dr. Siri die Mordfälle? Gott sei Dank weniger mithilfe der Geister als vielmehr mithilfe seines Geistes. Mittels Deduktion und Intuition. Der Leser atmet auf: Der Autor mutet ihm nicht das Alleräußerste zu. Nicht der Schamane Yeh Ming löst den Fall, sondern Dr. Siri selbst. In jenen Tunneln, die unter der Stadt liegen und wohin es seine Assistentin Dtui im Zuge ihrer Ermittlungen verschlagen hat. Der Geisterdiskurs endet in Dreck und in Schmutz. Und die Bestie ist weder Tier noch Geist. Das ist auch besser so.

Ach ja, die Geister. Wie gesagt, man muss sie mögen, denn sie werden nicht ironisch gebrochen. Was nur will uns der Autor damit sagen? Dass die menschlichen Wahrnehmungsfähigkeiten nicht besonders weit reichen? Okaaay … Dass es Parallelwelten gibt? Okaaaaay … Dass die im Fernen Osten einen unmittelbareren Draht zum Magischen haben? Na ja. Also weißte.

Der nächste Dr. Siri soll noch geisterhafter werden, so hört man. Da könnten sich allerdings viele Leser von ihm verabschieden. Zu grottig sind diese Geistergeschichten, trotz der vielen gelungenen Späße.

Christiane Geldmacher

Colin Cotterill: Dr. Siri sieht Gespenster (Thirty-Three Teeth, 2005). Roman.
Deutsch von Thomas Mohr.
München: Manhattan 2009. 320 Seiten. 17,95 Euro.

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